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REINHARD MEY lyrics : "Mein Testament"

In Erwartung jener Stunde, die man halt nicht vorher kennt, nehm' ich mir Papier
und Feder und beginn mein Testament. Schreibe meinen letzten Willen, doch ich
hoffe sehr dabei, daß der Wille, den ich schreibe, doch noch nicht mein letzter sei.

Aber für den Fall der Fälle halte ich ihn schon bereit, dabei täte mir der Fall der
Fälle ausgesprochen leid.


Meinen Nachlaß zu verwalten, geb' ich Dir allein Vollmacht, so weiß ich, daß mit
dem Nachlaß keiner keinen Unfug macht. Geh' zunächst zum Biergroßhändler, der
schon schluchzt und lamentiert, weil er mit mir eine Stütze seines Umsatzes

verliert. Schenk' ihm all die leeren Flaschen, die bei uns im Keller steh'n, mit dem
schönen Posten Leergut wird es ihm schon besser geh'n.


Was danach an guten vollen Flaschen noch im Keller ist, die vermach' ich Euch, Ihr
Freunde, die Ihr sie zu schätzen wißt. Als Dank für die guten Stunden, die Ihr mir
gegeben habt, als Dank dafür, daß Ihr heut' noch hinterm schwarzen Wagen trabt.

Ich vermach' Euch Faß und Flaschen, euch zum Wohle, mir zum Trost, ich hätt'
gerne mitgetrunken, leider geht's nicht, na denn Prost.


Alles, was ich an irdischen Gütern habe, Hund und Haus, vermach' ich Dir, meine
Freundin, mache Du das Beste draus. Und erscheinen Dir die Räume plötzlich viel
zu eng und klein, öffne den Freunden die Türen, und das Haus wird größer sein.

Verschenke, was immer Du verschenken willst vom Inventar, sei mit denen die Dich
bitten, großzügiger, als ich es war.


Meine Träume, meine Ziele, sind bei Dir in guter Hand, die, die ich so gut geliebt
hab', wie ich es nun mal verstand. Ich wollte die Welt verbessern, ohne viel Erfolg,
scheint mir, mach Du, wo ich aufhör', weiter, und vielleicht gelingt es Dir. Das wird

Dich darüber trösten, wenn ich nicht mehr bei Dir wohn', dann werd' wieder die
Glücklichste, die Schönste bist Du ja schon.


Meine Verse, meine Lieder, gehör'n Dir ja ohnehin. Die, die mich so sehr geliebt
hat, mehr vielleicht, als ich's verdien'. Denn durch Dich hab' ich, wenn heut' schon
meine letzte Stunde kommt, viel mehr als nur jenen Teil vom Glück gehabt, der mir

zukommt. So bedaur' ich eine in jener Stunde nur, daß offenbar uns das Los von
Philemon und Baucis nicht beschieden war.


Aber eines freut mich doch, wenn ich heut' sterbe, ungeniert hab' ich meine
Widersacher doch noch einmal angeschmiert. Denn ich hör' die Lästermäuler
Beileid heucheln und sogar murmeln, daß ich stets der Beste, Liebste, Allergrößte

war. Euch, Ihr Schleimer, hinterläß' ich frohen Herzens den Verdruß, daß man von
dem frisch Gestorb'nen immer Gutes sagen muß.


Mein Vermächtnis ist geschrieben, klaren Kopfes bis zuletzt, ich laß' noch Platz für
das Datum; den Rest unterschreib' ich jetzt. dieses ist mein letzter Wille, doch ich
hoffe sehr dabei, daß der Wille, den ich schreibe, doch noch nicht mein letzter sei.

Wär er's doch, schreib' auf den Grabstein, den ich mir noch ausbeding': "Hier liegt
einer, der nicht gerne, aber der zufrieden ging".



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